Eine Referenzarchitektur für die Digitalisierung des Energie-Sektors Teil 3: Internet of Things, Cognitive Computing und Augmented Reality

10. Juli 2017 | Von | Kategorie: Software Development + Change Mgmt., Strategische Berichte, Wissenschaft und Forschung

Dieser dritte Teil ordnet für jede Energiesektor-Domain einschließlich ihrer Subdomains, die im vorigen Teil herausgearbeitet wurden, Schlüsselbegriffe beziehungsweise Bausteine in das Modell zur Digitalisierung begründet ein. Zudem werden zusammengehörige Begriffe zu sogenannten „Umbrella Terms“ gruppiert, welche sich an den drei Hauptfeldern der Digitalisierung Internet of Things (IoT), Cognitive Computing (CC) und Augmented Reality (AR) orientieren, die wir im ersten Teil der ­Artikelserie vorgestellt haben.

Eldar Sultanow, Christoph von Tucher, Artur Biedulski, Jan Lesny und Michael Hanser

Damit die Einordnung nachvollziehbar und die Abbildungen übersichtlich bleiben, erfolgt die Einordnung jeweils domänenspezifisch. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Begriffe teilweise in mehreren Domänen wiederfinden.

A.1 Energy Generation

Abb. 1 zeigt die Einordnung der Schlüsselbegriffe aus Energy Generation-Domain, die die Erzeugung und Bereitstellung von Elektrizität beschreibt. Im Zuge der Digitalisierung wird die konventionelle Energieerzeugung durch neue Technologien und Applikationen abgebildet und verändert. Die dezentrale Energieerzeugung schafft Möglichkeiten, effizientere und ressourcenschonendere Energie zu erzeugen.

Die im zweiten Teil der Artikelserie erarbeiteten Begriffe stellen Abb. 1-6 im Modell zur Digitalisierung nach Sultanow (2017) zusammenfassend dar. Nachfolgend wird die Einordnung für jeden Begriff begründet, wobei die Reihenfolge durch den jeweiligen Schritt im Digitalisierungsprozess, Tag, Sense & Connect (1), Ingest (2), Analyse & Prepare (3) und Utilize (4) bestimmt ist.

Management Systeme

Das SCADA-System wird in der Literatur oft mit dem Energy Management System gleichgesetzt. ­SCADA steht für Supervisory Control and Data ­Acquisition. Aus dem Namen leiten sich gleichzeitig die Systemfunktionen ab. Das SCADA-System ist eine grundlegende Anwendung, die auf dazugehöriger Hardware/Sensorik aufbaut und sensorisch erfasste Daten aufnimmt, weiterverarbeitet, aufbereitet und analysiert. Das SCADA-System deckt die ersten drei Schritte des Digitalisierungsprozesses vollständig ab. Den letzten Schritt Utilize deckt ein SCADA-Augmentor (vgl. VTScada Software, 2017) ab – eine Applikation, die mittels AR-Technologie SCADA-Informationen für die Netzbetreiber visualisiert. Ingenieure oder Auditoren der Netzbetreiber sind nicht mehr räumlich an eine Steuerungszentrale gebunden, sondern erhalten bei Rundgängen und Inspektionen unmittelbar relevante Informationen über einen AR-Client des SCADA­Systems und können sich so schneller einen Lageüberblick verschaffen und bei Bedarf Maßnahmen ergreifen.

Das Energy Management System (EMS) stellt die zentrale Kontrolleinheit der Energieerzeugungsanlagen dar. Sie vereinigt viele der schon aufgeführten Technologien und Applikationen. Dies ist nötig, um die effiziente und effektive Verwaltung der Erzeugungsanlagen sicherzustellen. Eine Funktion, die ein EMS nicht innehat, ist die Funktion, Erzeugungsanlagen untereinander zu verbinden und Daten zu sammeln. Automated Generation Control (AGC) beschreibt eine Funktion der zentralen Kontrolleinheit einzelner Energieerzeuger innerhalb eines Grids. Diese Funk­tion arbeitet nach einem bestimmten Algorithmus und überwacht die Energieerzeugung auf Grundlage der gesammelten Daten. Stellt der Algorithmus anhand dieser Daten einen Engpass zwischen der Energieerzeugung und gespeicherten Energie fest, dann greift er in die Erzeugung ein, indem er eine zusätzliche Erzeugungsanlage zuschaltet oder aus dem Grid herausnimmt. Die AGC deckt die Anwendungsebene und Sparte Utilize ab. Sie gehört nicht zu den reinen Managementsystemen, kann jedoch mithilfe von Cognitive Computing managementrelevante Fragen bezüglich der Strategie beantworten. Dabei ist CC noch nicht in der gesamten Energie-Branche vorhanden, wird allerdings schon in der Gas- und Öl-Industrie verstärkt eingesetzt, um die enormen Mengen an erhobenen Daten intuitiv nutzbar zu machen. Führungskräfte der Gas- und Öl-Industrie sind sich einig, dass Cognitive Computing die Industrie radikal verändern wird (IBM, 2016).

Ein Field Operations Advisor (IBM, 2014) ist eine Anwendung, die Informationen über korrekte Prozesse und Prozeduren sowie über den Zustand der zu verwendenden Geräte bei der Energieerzeugung bereitstellt. So können Risiken gemindert und eine Downtime vermieden werden (IBM, 2014). Da der Field Operations Advisor Daten zur Logistik, zu Prozessen oder entsprechenden Werkzeugen/Maschinen nur auswertet und die zu treffenden Entscheidungen nicht selbst ausführt, fällt er in den Bereich Analyse & Prepare.

Load

Die Load Prediction ist eine Funktion zur Berechnung der erwarteten Netzbelastung. Sie basiert auf ­erfassten Produktions- und Verbrauchsdaten und wird benötigt, um die Stabilität des Stromnetzes zu sichern. Es handelt sich dabei um eine datenbasierte Funktion, die Voraussagedaten/Prognosen liegen in der Datenebene. Weil im Rahmen von Load Prediction die gesammelten Daten weiterverarbeitet werden, wird sie in die Sparte Analyse & Prepare eingruppiert. Diese Funktion bedient sich maschineller Lernverfahren zur besseren statistischen Vorhersage und liegt damit im Feld C­ognitive Computing. Load Profile sind Daten, welche die Netzbelastung (meistens in Graphen) zu bestimmten Tageszeiten und (Wetter-)Bedingungen darstellen. Diese Daten sind das Output des Schritts Analyse & Prepare und somit Grundlage für weitere Entscheidungen, wie zum Beispiel das Hinzuschalten oder Abkoppeln eines virtuellen Kraftwerks. Load Profile bildet die Datengrundlage für Load Prediction und ist daher auch dem CC-Feld zuzuordnen.

Abb. 1: Digitalisierungsbausteine der Domain Energy Generation

Micro Grid

Das Micro Grid ist ein lokales Grid zur Energieerzeugung, welches sich einzeln kontrollieren und verwalten lässt. Es kann, nachdem es von einem Macro Grid abgekoppelt wurde, gesondert weiter operieren. Aufgrund dieser Fähigkeit wird das Micro Grid in der Technologieebene eingeordnet. Der Umstand, dass ein Micro Grid nur mit dem Macro Grid verbunden ist und keine Aufgaben, wie das Verbinden von Konsumenten und Produzenten oder das Sammeln und Aufbereiten von Daten, übernimmt, sondern als reine Produktionseinheit gilt, rechtfertigt dessen Einordnung in die Sparte Utilize.

Fazit

In diesem dritten Teil der Artikelreihe haben wir eine Referenzarchitektur des digitalisierten Energiesektors erstellt. Die sektorspezifischen Domains gliedern sich in Energy Generation, Energy Delivery & Infrastructure, Customer Interaction, Customer Management, Market & Pricing sowie Risk Management. Zudem existiert eine Reihe unterstützender Domains. Es wurden die in den Architekturen identifizierten Digitalisierungskonzepte, -anwendungen und -schlüsselbegriffe entsprechend ihrer Rolle im Digitalisierungsprozess in das Referenzmodell eingeordnet. Eine saubere Trennung und Einordnung der Begriffe erwies sich insofern als schwierig, als sich manche Begriffe (beispielsweise Smart Meter) in mehr als einer Domain wiederfinden.
Mit den hier vorgestellten Lösungen (Technolo­gien, Anwendungen, Funktionen und Konzepten) ist die Digitalisierung des Energiesektors noch längst nicht abgeschlossen. Allerdings bildet das eingeführte Digitalisierungsmodell einen architekturellen generischen Rahmen, der jederzeit mit neuen Bausteinen befüllt und auch auf andere Industrien angewendet werden kann.

Kontakt

Dr. Eldar Sultanow

Dr. Eldar Sultanow
eldar.sultanow (ät) capgemini.com
Eldar Sultanow ist Architekt bei Capgemini in Deutschland. Davor war er CIO eines mittelständischen Pharma­großhändlers, nachdem er als JEE-Entwickler/Architekt für ein E-Commerce-Unternehmen in Berlin tätig war, das ein führendes Verbraucherinformationsportal Europas entwickelt und betreibt.

Christoph von Tucher

Christoph von Tucher
christoph.v.tucher (ät) capgemini.com
Christoph von Tucher ist Global Account Executive bei Capgemini im Bereich der CIO Advisory Services. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung im Energiesektor und war bei Capgemini Account Manager für Technologie und Energiewirtschaft.

Artur Biedulski

Artur Biedulski
biedulski (ät) uni-potsdam.de
Artur Biedulski hat an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und an der Universität Potsdam studiert. Aktuell befindet er sich im zweiten Fachsemester des Masterstudiengangs Wirtschaftsinformatik.

Jan-Hendrik Lesny

Jan-Hendrik Lesny
jlesny (ät) uni-potsdam.de
Jan-Hendrik Lesny hat an der Universität Potsdam Wirtschaftsinformatik studiert. Er befindet sich momentan im ersten Fachsemester des Masterstudiums. Sein Schwerpunkt ist hierbei die Fachrichtung Wirtschaftsinformatik.

Michael Hanser

Michael Hanser
mhanser (ät) uni-potsdam.de
Michael Hanser hat Wirtschaftswissenschaften und -informatik an der Wirtschaftsuniversität Wien, Oregon State University und der Universität Potsdam studiert. Er ist als wissenschaftliche Hilfskraft für Wirtschafsinformatik an der Universität Potsdam tätig und befasst sich mit Unternehmensarchitekturen und Modellierungssprachen.

Literatur

Augment News (2015). Augmented Reality in the Energy Sector. Abgerufen am 10.06.2017 von http://www.augment.com/blog/augmented-reality-in-the-energy-sector/.
Eon Reality. (2017). Immersive 3D Training Environment. Abgerufen am 11.06.2017 von https://www.eonreality.com/portfolio-items/immersive-3d-training-environment/?portfolioCats=327
Ericsson (2014). Transforming industries: energy and utilities. Abgerufen am 03.07.2017 von https://www.ericsson.com/assets/local/news/2014/10/gtwp-op-transforming-industries-aw-print.pdf
IBM (2014). Cognitive Computing. Meeting the demand for smarter energy intelligence. Aufgerufen am 17.06.2017 von https://public.dhe.ibm.com/common/ssi/ecm/ch/en/che03005gben/CHE03005GBEN.PDF
IBM (2016). How Cognitive Computing Can Drive Sustainability. Aufgerufen am 18.06.2017 von https://www.ibm.com/blogs/think/2016/05/cognitive-sustainability/
Jwnenergy (2016). Your cognitive future. Aufgerufen am 18.06.2017 von http://www.jwnenergy.com/article/2016/11/your-cognitive-future/
Simmins, J. (September, 2016). Program on Technology Innovation: State of the Art of Wearable Enterprise Augmented Reality Displays. Electric Power Research Institute. Technical Report.
Sultanow, E. (2017). Digitalization from an Architectural Perspective. Working Paper, Capgemini.
ThingWorx (2017) Smart Energy. Abgerufen am 18.06.2017 von https://www.thingworx.com/ecosystem/markets/smart-connected-systems/smart-energy/
VTScada Software. (2017). Augmented Reality and Industrial SCADA Systems. Abgerufen am 10.06.2017 von https://www.trihedral.com/ar.

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