Fokus auf Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit

17. Januar 2022 | Von | Kategorie: Strategische Berichte, Wissenschaft und Forschung

Um globale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, brauchen wir wissenschaftliche Durchbrüche, technologische Innovationen und eine globale Zusammenarbeit, wie es sie noch nie gegeben hat. Der Konsens ist eindeutig: In diesem Jahrzehnt muss dringend gehandelt werden, wir müssen das Innovationstempo beschleunigen und praktische Lösungen auf den Markt bringen. Die erforderlichen Antworten sind jedoch komplex – die Unternehmen kämpfen darum, praktische Wege zu finden, um auf den Druck der Verbraucher, der Gesellschaft und der Vorschriften zu reagieren. Elisabeth Goos, Executive Partner, Head of Green2Grow Sustainability DACH, IBM und Paul Polman, Co-Author, Net Positive, Former CEO Unilever ventilieren die Einflussfaktoren.

Bericht von Isabella Pridat-Zapp

Die 4 Gründer von Imagine, Paul Poman, Valerie Keller, Kees Kruythoff und Jeff Seabright kannten sich aus der Unilever-Zeit, als sie 2019 Imagine ins Leben riefen, um Unternehmensführer auf das „2030 ­Sustainable ­Development Goal“ einzuschwören. Imagine folgt wie online einsehbar – imagine.one – dem Motto „Business as a force for good“. Diese neue Form der Zusammenarbeit von Unternehmen arbeitet daran einen Systemwechsel herbeizuführen – für mehr Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit zum Nutzen aller Beteiligter.

Unsere Heimat, die Erde, befindet sich jetzt in Gefahr und muss von uns geschützt werden. Gleichzeitig ist diese Erde aber auch voll von Innovationskraft und Potential. Paul Polman hat Unilever seinerzeit in einen Konzern verwandelt, in dem Nachhaltigkeit im Mittelpunkt steht und er gehört weiterhin zu dem einflussreichsten Kreis von Personen, die sich mit Nachhaltigkeit befassen. Er hat an den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung mitgewirkt und er hat die Organisation Imagine begründet, die andere Organisationen bei der Formulierung und Umsetzung sinnvoller Nachhaltigkeitsziele und -maßnahmen unterstützt.

Paul Polman und Elisabeth Goos berühren in ihrem Gespräch das Streben nach Nachhaltigkeit und das Erproben von ferneren Grenzen der Innovation, sowie in diesem Zusammenhang die dringendsten Aufgaben unserer Zeit: Klimawandel und soziale Ungleichheit.

Die Geschäftswelt ist in hervorragender Weise befähigt, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Gleichzeitig kann gerade die Geschäftswelt von einem solchen ­Paradigmenwechsel besonders profitieren.

Was ist Nachhaltigkeit? Nachhaltig bedeutet laut Paul Polman, die Interessen unserer Kinder und Enkel vor unsere eigenen zu stellen. Das geht deutlich über die Definition im Brundtland-Bericht hinaus, die vorsieht, dass wir die von unserem Planeten gesetzten Grenzen jetzt und in Folgegenerationen nicht überschreiten. So hat Paul Polman seinerzeit ab 2008 als CEO von ­Unilever weit früher als andere den Konzern radikal transformiert, da er erkannte, dass das Modell, das sich in erster Linie an den Interessen der Aktionäre orientierte, schon damals als scheiterndes Wirtschaftsmodell erkennbar war, das einerseits die Natur und gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt zerstört.

Die Finanzkrise des Jahres 2008 demonstrierte, dass unser auf Überkonsum und hoher Staats- und Privatverschuldung basierendes System, das einfach zu viele Menschen ausgrenzt, nicht nachhaltig war.

Jedes System, in dem zu viele Menschen nicht partizipieren können oder ausgeschlossen bleiben, wird irgendwann gegen sich selbst rebellieren. Und genau das ist eingetreten. In der Finanzkrise hatten viele das Gefühl, sie seien zu klein um wichtig zu sein, während die Banken zu groß waren um zu scheitern.

Erfolgreiche Unternehmen verstehen heute, dass Gewinn nicht dadurch erwirtschaftet werden sollte, dass man Probleme für die Welt schafft, sondern dadurch, dass man sie löst. Erfolg basiert vielmehr auf der Übernahme von Verantwortung für das System, dem das Unternehmen seine Existenz verdankt und dem Aufbau von Beziehungen zu allen Beteiligten, die sich an Aufrichtigkeit und Werten orientieren. Damit ist gesellschaftliche Akzeptanz verbunden.

Als Paul Polman Ende 2008 Unilever übernahm, war das Unternehmen in keinem guten Zustand, es war auch dem Aktionärsprimat zum Opfer gefallen und sprang von einem kurzfristigen Ziel zum anderen. In der vorrausgegangenen Dekade war der Umsatz von etwa 53 auf 38 Milliarden US-Dollar eingebrochen. Damals spekulierte die Finanzwelt bereits, dass der Konzern aufgespaltet werden würde. Es lag eine eklatante ­Underperformance vor.

So musste Polman zunächst den Stolz zum Unternehmen zurückbringen und das Wachstum wieder ankurbeln. Dazu bedarf es eines soliden Fundaments und einer starken Vision. Damals war das Konzept der Nachhaltigkeit noch nicht vollumfänglich verstanden. So begegneten er und sein Team zunächst im Unternehmen selbst und im Unternehmensumfeld einer großen Skepsis. Es gab auch weniger Informationen, im Sinne von harten Fakten und Daten. Also kam es auf die eigene Urteilsfähigkeit an. Da das Unternehmen keine gute Leistungsbilanz hatte, fehlte es auch seitens des Marktes an Vertrauen.

Das Unilever-Team musste die Vision erklären und gleichzeitig für finanzielle Erfolge sorgen. Polman wollte den Konzern nach dem Outside-in-Prinzip ausrichten. Zu viele Unternehmen richten sich nach dem Inside-out-Prinzip – sie konzipieren etwas und dann versuchen sie mit Werbung, Preisgestaltung oder sonstwie, den Käufer zur Akzeptanz zu zwingen. Das Outside-in-Prinzip interessiert sich dafür, was die Menschen wirklich brauchen und gestaltet danach ­entsprechende Produkte.

Es wurde auch klar, dass die Voraussetzungen für ein nachhaltigeres und faireres Wachstum nicht im Alleingang geschaffen werden konnten, sondern umfassende Partnerschaften bedingten. Das Team formulierte ein Modell für diese Ziele. Ausgangslage war die sehr klare Prämisse, dass Unilever die Verantwortung für alle Auswirkungen der weltweiten Konzerntätigkeit übernehmen müsse. Zu viele Unternehmen beziehen ihre Verantwortlichkeit nur auf Scope 1 und Scope 2, also auf ihren unmittelbaren Einflussbereich.

Als Konzern im Lebensmittelbereich wollte Unilever damals auch die Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette übernehmen, wie Abholzung, ärmliches Leben der Kleinbauern, Lebensmittelverschwendung, Übergewicht. Ferner sollte unternehmerischer Gewinn sich auf Sinnhaftigkeit stützen, so hieß das Modell „Profit through Purpose“.

Dieses Konzept musste längerfristig angelegt werden, wenn es die Multi-Stakeholder Interessen berücksichtigen sollte. Daher wurde der Unilever Sustainable Living Plan mit 3 allumfassenden Zielen formuliert:

  • Das Unternehmens-Wachstum von negativen ­Umweltauswirkungen zu entkoppeln,
  • den positiven gesellschaftlichen Einfluss zu stärken und
  • die Gesundheit und das Wohlergehen von über einer Milliarde Menschen zu verbessern.

Nach einer Dekade war klar, das dies ein funktionierender Plan war. Denn auch der Aktienertrag war um über 300% gestiegen. Alle Beteiligten hatten nur Vorteile. Gleichzeitig kümmerte sich Polmans Team darum, die Aktionäre glücklich zu machen, die Mitarbeiter sehr zu motivieren und die Beziehungen zur Wertschöpfungskette zu vertiefen, sowie das Unternehmen sowohl agiler, als auch resilienter zu machen.

Nun zu Paul Polmans neuer Organisation, Imagine. Diese möchte den Systemwandel beschleunigen, indem sie ihre Arbeit auf die wichtigsten Faktoren fokussiert: Klimawandel und soziale Ungleichheit. Es hat sich erwiesen, dass unsere Reaktionen auf diese zwei wichtigen Problemfelder nicht schnell genug erfolgen.

Zwar bewegen wir uns ungefähr in die richtige Richtung, doch fehlt es an Tempo und Größenordnung. Ein aktuelles Warnzeichen setzt der neueste IPPC-Bericht, der ausweist, dass wir die 1,5 Grad-Grenze der Erderwärmung schon 2034 erreichen, was IPPC als Worst-Case-Szenario bezeichnet. Tatsächlich erwiesen sich bisher alle Worst-Case-Szenarios der Wissenschaftler in der gelebten Wirklichkeit als noch schlimmer. ­Deshalb fokussiert sich Imagine auf Nachhaltigkeit, Klimawandel und Ungleichheit.

Der Weg dorthin ist sehr gradlinig: Pro Industriebereich und auf allen Stufen der Wertschöpfungsketten soll eine kritische Masse an CEOs erreicht und ­zusammenkoppelt werden – das wären etwa 20 bis 25%. Damit wäre die Voraussetzung für eine entscheidende Wende geschaffen. Sobald diese kritische Masse vorhanden ist, wird das gesellschaftliche Interesse geweckt sein, Regierungen werden aufhorchen und weitreichende Systemveränderungen können durchgesetzt werden.

Schlagworte: , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Sie müssen eingeloggt sein, um einen Kommentar schreiben.